Tagesanbruch

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medienprofile-Rezension

Pietu mit Trauma: Hans Ulrich Treichels berührende Erzählung erzählt von Mutterliebe und Liebesverlust.
Eine verfremdete Pietu-Situation: die erzählende Mutter mit ihrem toten Sohn im Arm. Doch die Geschichte der alten Frau ist keine lange Lebensbeichte, sondern eine trauernde und traurige Erinnerung an ein Leben mit Schmerz und Verlusten. Zugleich trüben aber weder Zorn noch Hader ihren Blick. Es geht um eine Nachkriegsfamilie, um den Aufstieg eines kleinen Textilladens, um den Luxus eines schwarzen Klaviers und zuletzt um den sterbenskranken Sohn, der, jenseits von Sterbebegleitung und mobiler Hospizarbeit, von der sich selbst störrisch nennenden Mutter gepflegt wird. Keimzelle des Erinnerungsmonologs ist die Geschichte von Flucht und Vertreibung, Treichels großes autobiografisches Thema. Hinzu kommt, und das ist der tiefste Schmerzpunkt des Buches, die Mehrfachvergewaltigung der fliehenden Frau vor den Augen ihres kriegsversehrten Mannes. Die Ungewissheit der Vaterschaft und das Trauma der Mutter belasten die Erinnerung, die dennoch einen Vorstoß aus dem Schweigen macht - in einer knappen, einfachen Sprache, die sich durch das gesamte Buch zieht. Berührende Lektüre, für alle Bestände.

Eine Mutter hält ihren erwachsenen Sohn in den Armen. Er ist tot, wie sich bald herausstellt; sie hat ihn während der letzten Monate seiner Erkrankung gepflegt. Bevor die alte Frau den Arzt ruft, beginnt sie mit dem Sohn ein letztes Gespräch, einen Monolog, der zur Bilanz und zur Erinnerung wird: an ein Leben an der Seite eines kriegsversehrten Mannes, an das gemeinsam geführte Textilgeschäft im Nachkriegsdeutschland, an das Glück, ein Klavier anzuschaffen, »etwas von Dauer«, schwarzglänzend und für den einzigen Sohn, den sie liebte und der doch immer ein Fremder für sie geblieben ist. Denn seine Existenz verdankt sich womöglich einer traumatischen Gewalterfahrung, die sie zeitlebens bedrängt hat.»Tagesanbruch« führt ins Zentrum von Hans-Ulrich Treichels Schreiben, ganz nah heran an die Schmerzpunkte von Verlust und Verlorenheit. Es ist die eindringliche, tieftraurige Erzählung einer Frau, die am Totenbett ihres Kindes endlich all das auszusprechen versucht, was sie niemals ausges
prochen hat; und am Ende doch bekennen muss, dass ihr die Worte versagen. Denn »es gibt Dinge, die verschweigt man sogar den Toten«.

Treichel, Hans-UlrichHans-Ulrich Treichel, am 12.8.1952 in Versmold/Westfalen geboren, lebt in Berlin und Leipzig. Er studierte Germanistik an der Freien Universität Berlin und promovierte 1984 mit einer Arbeit über Wolfgang Koeppen. Er war Lektor für deutsche Sprache an der Universität Salerno und an der Scuola Normale Superiore Pisa. Von 1985-1991 war er Wissenschaftlicher Mitarbeiter für Neuere Deutsche Literatur an der FU Berlin und habilitierte sich 1993. Von 1995 bis 2018 war Hans-Ulrich Treichel Professor am Deutschen Literaturinstitut der Universität Leipzig. Seine Werke sind in 28 Sprachen übersetzt.

»Treichels sprachlich und stilistisch hoch verdichtete Darstellung eines einfachen und zugleich unerhörten Lebens klingt lange nach.« Claus-Ulrich Bielefeld DIE WELT 20160716
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